Forschung

Dystonie und Forschung

Unser Gehirn:

So schaut es aus


So schaffen Wissenschaftler:innen Wissen über bzw. zu hirnorganischen Erkrankungen, mit Würde und wertschätzend. Oder: Ohne Forschung an und mit echten Organen kaum ein Fortschritt …

Dystonie

Stand der Forschung


Dank der Neurowissenschaften bzw. der Neurowissenschaftler*innen ist Folgendes mittlerweile zur Dystonie bekannt:


  • Dystonie bzw. dystone Symptome kommen im extrapyramidalmotorischen System des Gehirns zustande.


  • Hirnorganisch ist stets der Motorkortex beteiligt, mitunter auch die Basalganglien (unterschiedliche Hirnkernbereiche).


  • Einerseits können abnorme asynchrone Entladungsmuster im Hirnkern (zumeist dem Pallidum) zwischen hemmenden und aktivierenden Signalen, führen zu einem teilweise oder gänzlich erhöhten Tonus der Skelettmuskulatur.


  • Andererseits vermögen irritierte oder verletzte periphere Nerven, welche die Skelettmuskulatur aktivieren, der Ausgangspunkt einer Dystonie bzw. dystoner Symptome sein.


  • Die dystonen Symptomen in der Bewegungs- und Haltemuskulatur, wie Zittern, Zucken und Krampfen, was wiederum unwillkürliche Bewegungen sowie abnorme Fehlhaltungen und Fehlstellungen zur Folge haben kann, entstammen, sehr einfach formuliert, "Signalkonfusionen" im Gehirn.


  • Bei Dystonie handelt es sich deshalb - sehr vereinfacht gesprochen - höchstüberwiegend um einen vom Hirnkern ausgehenden "Netzwerkfehler" des Gehirns.



  • Dieser "Netzwerkfehler" kann monogenetischen oder komplexgenetischen bzw. idiopathischen Ursprungs sein oder als Symptom einer anderen hirnrelevanten Erkrankung, Fehlbildung bzw. Schädigung auftreten (sekundäre Dystonie).


Was bis heute noch nicht herausgefunden werden konnte ist zum einen, was sich, bezogen auf die asymmetrischen Entladungsmuster im Hirnkern, dort genau auf neuronaler Zellebene abspielt.


Zum anderen weiß man noch nicht viel darüber, wie genau sich die irregulären Entladungsmuster auf die unterschiedlichen Hirnbereiche auswirkt, die an der Bewegungsplanung und Bewegungssteuerung beteiligt sind.


Die beiden letztgenannten Aspekte sind jedoch des "Pudels Kern", wenn es um effektivere Therapien oder gar die Heilung von Dystonie geht.

Das Verhältnis von primären zu sekundären Dystonien beträgt etwa 80 zu 20. Rund 5 % der primären Dystonien sind monogenetischen Ursprungs, die Ursache für den höchstüberwiegende Anteil, etwa 95 %, ist unbekannten. Vermutet werden komplexgenetische Ursachen in Verbindung mit Umweltfaktoren.

Fragen über Fragen


Wenngleich man über Dystonie schon einiges weiß, bedarf es für eine spürbare Linderung oder gar Heilung der Bewegungsstörung deutlich mehr Wissen. Dies nicht zuletzt auch, weil rund 80 % jener, die von einer primären Dystonie betroffen sind, profitieren wurden.


Gut Ding will Weile. So forschen Wissenschaftler*innen, im Rahmen ihrer beschränkten finanziellen Möglichkeiten, weltweit zu den neurozellulären Umständen, die dystone Symptome auslösen.

Dystonie, der misteriöse "Dachschaden" der besonderen Art. Oder: Wie man sieht, sieht man nichts.

So zeigen bildgebende Verfahren bei primären Dystonien keinerlei strukturelle Auffälligkeiten.

Die Tatverdächtigen agieren unerkannt ...

Bewegung und Harmonie


Wer (seine) Dystonie ein wenig besser verstehen möchte, dem bzw. der bleibt nichts anderes übrig, als sich ein wenig damit zu befassen, wie "menschliche Bewegung" - zuvorderst die Bewegungen, die wir willentlich ausführen - entstehen.


Also, los geht's ...


Der Mensch kann sich bewegen oder halten bzw. Haltung bewahren, willkürlich und unwillkürlich, also absichtlich und unabsichtlich. Er kann, so altersgemäß entwickelt und gesund, unter anderem Gehen, Stehen, Sitzen oder Liegen.


Das muskuläre Halten und Bewegen übernimmt die Skelettmuskulatur, die - wegen ihrer Struktur - auch als quergestreifte Muskulatur bezeichnet wird.


Muskuläre Haltung und Bewegung sind möglich, weil zunächst einmal


  • die Basalganglien (unser Hirnkern), mit ihren unterschiedlichen Hirnkernbereichen), wie ein Hochleistungsrechner unter anderem dafür Sorge tragen, dass unsere grundsätzliche Muskelspannung situativ verändern kann, so dass sie unserem tatsächlichen Bewegungsbedarf entspricht.


  • und ein Hirnkernbereich, das Pallidum, über das permanente Aussenden überwiegend aktivierender jedoch auch hemmender elektrischer Signale für eine funktionale Muskelspannung, den Muskeltonus, sorgt.


Hinzu kommen sodann Bewegungsimpulse in Form elektrischer Signale, die über spezifische Motorneuronen


  • einerseits von den Basalganglien im Hirnkern absteigend (efferent pyramidal) über die zentralen Nerven in die Muskeln (Motorische System)


  • und anderseits von den peripheren Nerven aufsteigend (afferent extrapyramidal) über die Muskeln in das Gehirn gesendet werden (Sensomotorische System).


  • Sämtliche auf- und absteigenden Signale (mit Ausnahme von Reflexen) treffen im extra-pyramidalmotorischen System zusammen, wo sie aufeinander abgestimmt werden, damit kein "Bewegungschaos" entsteht.


Ja, ganz schön kompliziert, ich weiß. Doch wir Menschen sind eben kompliziert (gebaut und verdrahtet), mitunter im wahrsten Wortsinn ...

Wenn. Du. Dies. Liest. Macht. Dein. Gehirn. Immer. Eine. Kurze. Pause.

Hermann-Oppenheim-Preis


Zu Ehren des deutschen Neurologen Hermann Oppenheim, lobte die Deutsche Dystonie Gesellschaft jedes zweite Jahr den in Höhe von 5.000 Euro dotierten Oppenheim-Preis aus. Der Preis dient der Förderung der klinischen und grundlegenden Forschung auf dem Gebiet dystoner Bewegungsstörungen.

Nähere Informationen

Oppenheim-Preisträgerin 2020


Frau Priv. Doz. Dr. Anne Weißbach, die aktuell am Universitätsklinikum in Schleswig-Holstein (Standort Lübeck) wirkt, ist Preisträgerin des Hermann Oppenheim-Preises 2020. Frau Weißbach hat im Rahmen ihrer Habilitation besondere Untersuchungen durchgeführt, die geeignet sind, die hirnphysiologische Funktionsweise monogener Dystonie- und Parkinsonsyndrome zu erklären.


Näheres: Ein Klick - Preiswürdige Wissenschaft

Bildnachweis: Institut of Neurogenetics, Toronto

Preiswürdige Wissenschaft Forschung
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