Funktionelle Dystonien

Dystonie Funktionelle Dystonien

Hier erfährst etwas über Dystoniesyndrome seelischen Ursprungs

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Dystonie als funktionelle Bewegungsstörung

Funktionell Dystoniesyndrome machen

bis zu 9% aller Dystonien aus.



vgl. Djamshidian/Poewe/Scherfler: Funktionelle Bewegungsstörungen. In: Deuschl et. al. (2022): Parkinson-Syndrome und andere Bewegungsstörungen.Thieme. S. 715 ff.

Nach besonders belastenden Ereignissen treten funktionelle Dystonien als Folge einer "Konversionsstörung" zumeist

binnen vier Wochen auf.

Dystonien

nicht-organischen Ursprungs


Dystonie ist Dystonie. Gleich welcher Ursache und Art. Ob organischen Ursprungs oder nicht. Ob seelischen Ursprungs oder nicht. Es gibt weder eine "echte" noch "unechte" Dystonie. Niemals nie!


Diese neurowissenschaftliche Erkenntnis dient insbesondere Menschen, die von einer nicht-organisch bedingten Dystonie einem sogenannten "funktionellen Dystoniesyndrom" (einstmalige Bezeichnung "psychogene Bewegungsstörung") betroffen sind.


Mediziner:innen unterscheiden vom Grunde her zwischen drei funktionellen Dystoniesyndromen, also dystonen Bewegungauffälligkeiten aufgrund folgender psychischer Störungen:


  • somatische Belastungsstörung
  • dissoziativen Störung (Konversionsstörung)
  • artifiziellen Störung (Münchhausensyndrom)


Funktionellen Dystoniesyndromen können auf Folgendem fußen:


  • gestörte Selbstwahrnehmung
  • Selbstzerstörungszwängen
  • Aufmerksamkeitsdefiziten
  • Zuwendungssüchten oder
  • übersteigerte Erkrankungsängste

Dystonie durch Medikamente

Eine häufige Ursache ist eine Therapie mit Antipsychotika (Neuroleptika), z. B. im Rahmen einer Schizophrenie. Die Nebenwirkungen treten in der Regel in den ersten Tagen und Wochen auf und sind dosisabhängig. Durch eine Dosisreduktion oder das Absetzen des Antipsychotikums können sie in der Regel rückgängig gemacht werden.

Weitere Medikamente, die für die Entstehung für Bewegungsstörungen verantwortlich sein können sind u. a. bestimmte Mittel gegen Übelkeit (Antiemetika), Reserpin, Lithium, Kalziumantagonisten (Cinnarizin, Flunarizin), Ciclosporin A, Antiepileptika sowie Medikamente, die für die Behandlung der Parkinson-Krankheiteingesetzt werden (z. B. Levodopa, Dopaminagonisten). Bei den meisten Medikamenten kann nur schwer vorhergesagt werden, ob bei einer bestimmten Person Nebenwirkungen auftreten werden oder nicht. Jeder Mensch ist anders, auch im Hinblick auf Nebenwirkungen.

Symptome können auch beim Absetzen eines Medikaments auftreten (z. B. Antidepressiva-Absetzsyndrom).

Dystonie und Konversionsstörung

Nicht alles scheint, wie es ist!

Wenn "seelische Trauma"

auf den Körper umgelenkt werden.


Konversionsstörungen äußern sich unter anderem in körperlichen Funktionsauffälligkeiten, die durch die Psyche bzw. seelische Traumen ausgelöst werden können. Dabei kommt nach einem besonders belastenden seelischen Erlebnis zunächst zu einer Spaltung von Körper und Seele bzw. seelischem und körperlichem Empfinden und Erleben. Hernach wird das abermalige Durchleben einer "seelische Pein" auf den Körper umgelenkt, wo sie sodann u.a. neurologische Symptome, wie Lähmungen, Taubheit oder auch dystonen Bewegungsauffälligkeiten, zu zeitigen vermag.


Wie auch immer: Wissenswert ist, dass körperlichen Konversionssymptome für Betroffene keineswegs steuerbar sind ; sie sind sozusagen gleichsam unwillkürlich, wie bei hirnorganisch bedingten Dystonien.

Dystonie als Folge einer

artifiziellen Störung

Die "Kunst" künstlich zu erkranken


Bei einer "artifiziellen Störung" gibt eine Person ohne zunächst ersichtlichen Grund körperliche oder seelische Symptome vor oder führt diese herbei; auch das Simulieren dystoner Symptome kann in Einzelfällen vorkommen.


Die Ursachen für artifizielle Störungen sind weitgehend unbekannt. Aufmerksamkeitsdefizite sowie Persönlichkeitsstörungen gelten als wahrscheinlich.

Dystonie und Münchhausen-Syndrom

Benannt ist das Münchhausen-Syndrom nach dem berühmten "Lügenbaron" Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, da sich Betroffene häufig spektakuläre Krankengeschichten ausdenken und  zum Dramatisieren ihren Symptome neigen.

Wenn krankhaftes Lügen zu einer psychischen Störung mit körperlichen Folgen führt


Das Münchhausen-Syndrom ist eine besondere "artifizielle Störung", bei der die Betroffenen körperliche oder psychiatrische Symptome sowie Beeinträchtigungen vortäuschen oder, durch selbstverletzendes Verhalten, absichtlich hervorrufen.


Im Hinblick auf Dystonie gibt es vereinzelte Personen, deren dystonen Symptom eben darauf zurückzuführen sind. Kennzeichnend sind "spektakuläre Krankengeschichten" genauso wie eine wiederholt dramatische Schilderung von Umständen mit Bezug zu dystonen Symptomen. Ferner kennzeichnend ist die Inkonstanz ihrer dystonen Bewegungsstörungen.


Menschen mit dem Münchhausen-Syndrom scheuen weder Schmerzen noch bleibende körperliche Schäden, noch Mühen, um glaubhaft zu vermitteln, erkrankt zu sein. Auch schmerzhafte Behandlungen oder gefährliche Eingriffe, wie Operationen, schrecken sie kaum ab.


In der Folge dreht sich ihr Leben vorwiegend um Arztbesuche und Klinikaufenthalte, wobei psychiatrische oder psychosomatische Einrichtungen gemieden werden.

Streiche: Psychogene Dystonie

Setze: Funktionelle Dystonie


Der Begriff "psychogene Dystonie" erweckt den Anschein, als wäre bei nicht-organischen Bewegungsstörungen allein die Psyche ursächlich; das kann, muss jedoch nicht sein.


Ferner erleichtert der auswirkungsbezogene Begriff Patient:innen einen konstruktiven Umgang mit der Störung; dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass psychische Leiden gesellschaftlich nach wie vor mangelakzeptiert sind.

Körper und Geist

Eine ärztliche "Doppelfachlichkeit", Neurologie und Psychologie, wäre der "therapeutische Glücksgriff" bei Dystonie!

Das "dystone Wechselspiel" von

Neurologie und Psychologie


Körper und Geist hängen untrennbar zusammen. Mitunter mehr, als es - zumindest im Hinblick auf dystone Bewegungsstörungen - wünschenswert wäre. Sowohl körperlicher als auch seelischer Stress vermögen dystone Symptome anzuschubsen oder zu verschlimmern. Das "nervt", im wahrsten Wortsinn!


Der Körper kann Spiegel unserer Seele sein, bei Dystoniebetroffenen häufig mehr, als es ihnen lieb ist. Schade, dass Neurologinnen im Regelfall eher psychologieunkundig und Psycholog:innen vielfach neurologische Laien sind. Dies kann die Behandlung dystoner Symptome durchaus erschweren ...

Dystonie und Seele

Wenn unser Körper unsere

 Seele sichtbar macht


Bei einer funktionellen Dystonie handelt es sich sodann um eine funktionelle Bewegungsstörung, also im weitesten Sinne um Fehlfunktionen  unserer Skelettmuskulatur, die in unwillentlichen Fehlbewegungen münden, welche vom Grunde her jedoch nicht organischen Ursprungs sind.


Funktionelle Dystonien stellen mit etwa 30% die zweithäufigste funktionelle Bewegungsstörung dar. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (vgl. u.a. Djamshidian, Poewe, Scherfler (2021): Funktionelle Bewegungsstörungen. In: Deuschl et al (2021): Parkinsonsyndrome und andere Bewegungsstörungen. Thieme.)


Funktionelle Dystonie können, altersunabhängig, unvermittelt oder schleichend beginnen. Seelische Belastungen - in Form von hohem Dauerstress oder Extremstress in Sinne eines Traums, scheinen Auslöser zu sein. Begünstigend sind neuropsychiatrische Störungen, wie Angst- und Panikattacken sowie Depressionen. Als weitere Ursache wird eine wodurch auch immer verursachte Überaktivität jener schläfennahen Hirnareale diskutiert, welche auf die Wahrnehmung von Bewegung ausgerichtet sind.


Wie auch immer: Für eine funktionelle Dystonie charakteristisch sind wechselnde dystone Bewegungen bzw. Bewegungsmuster, eine mitunter rasche Verschlechterung sowie - im Vergleich zu (hirn)organischen Dystonien - untypische Auslöser. Hinzu kommt, dass motorische Trickmanöver, die zuweilen bei Personen die von einer (hirn-) organischen Dystonie betroffen sind, nicht funktionieren.


Funktionelle Dystonien können entweder anfallsartig oder in Form fixierter Dystonien auftreten. Letztere treten häufig im Nachgang von Verletzungen auf. Zudem gehen sie regelmäßig mit dem Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom einher.


Nicht zuletzt sind wechselhafte Erkrankungsverläufe oder auch "Spontanheilungen" möglich. Wesentlich ist jedoch eine frühzeitige und multimodale Therapie, an denen wenigstens Neurolog:innen, Psychiater:innen, Psycholog:innen sowie Physio- und Ergothrapeut:innen beteiligt sein sollten.

Fixierte Dystonien

Fixierte Dystonien können eine (schwere) Körperbehinderung zur Folge haben.

Manchmal muss das Durchhalten

ausgehalten werden!

Wenn die Fixiertheit von Gliedmaßen

deren Funktion verhindert


Eine besondere Form der funktionellen Dystonie stellen sogenannte fixierte Dystonien dar. Bei ihnen verziehen sich Körperglieder bzw. Gliedmaßen muskulär bedingt auf eine Weise, die ihre Nutzung zunächst erschweren. Diese Fehlhaltungen münden nach einer gewissen Zeit sodann in Fehlstellungen, d.h., dass die betroffenen Glieder bzw. Gliedmaßen starr und unbeweglich werden.


Fixierte Dystonien treten mitunter nach einer "Verletzung" im Sinne eines Körperschadens nach einem Unfall oder einer Operation auf. Sie gehen nicht selten auch mit einen Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom einher. Fixierte Dystonien sind nicht nur funktionsbeeinträchtigend. Vielmehr gehen sie häufig auch mit starken Schmerzen einher.


Fixierte Dystonie sprechen nicht auf klassische Therapieformen - wie die Gabe von Medikamenten oder gar eine Tiefe Hirnstimulation an. Im Gegenteil! Erfolgversprechend kann in besonders schweren Fällen eine intrathekale Baclofentherapie sein. Davon unbenommen sollte frühzeitig ein multimodaler Therapieansatz gewählt werden, bei dem manuelle Therapie sowie Physio- und Ergotherapie darauf ausgerichtet sind, normale Bewegungsabläufe und Körperhaltungen neu zu erlernen bzw. wieder zu ermöglichen.


Eine psychologische Begleittherapie wird überdies angeraten, dies vor allem auch, weil die vorgenannten Therapien sehr schmerzhaft sind und sich erste Erfolge erst nach einer längeren und konsequenten Behandlung einstellen.

Lesenswerter Fachartikel zu Therapien um funktionelle Bewegungsstörungen

Zum englischsprachigen Fachaufsatz

Evaluation of Individualized Multi-Disciplinary Inpatient Treatment for Functional Movement Disorders Tamara Schmidt MDGeorg Ebersbach MDHenriette Oelsner MSAnette Sprock MSInke R. König PhDTobias Bäumer MDAlexander Münchau MDAnne Weissbach MD  (Erstveröffentlichung 17. Juni 2021; https://doi.org/10.1002/mdc3.13268).


Funktionelle Bewegungsstörungen kommen in der neurologischen Praxis nicht selten vor. Sie gehen für Betroffene mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität einher. Spezialisierte Therapien sind rar. Eine entsprechende Datenlage ist gleichsam kaum verfügbar.


Wie auch immer: Die aufsatzbasierte Studie hat ergeben, dass stationär durchgeführte multimodale Therapien zu einer signifikanten Verbesserung funktioneller Bewegungsstörungen führen können.

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